Interview mit Daniel Heß und Philipp Diebold

Im Interview erklären Daniel Heß (IAV GmbH) und Philipp Diebold (Bagilstein GmbH) wie sie zu Blaupausen bei agilen Transitionen stehen, welche Patterns und Anti-Patterns sie ausgemacht haben und worauf sich die Konferenzteilnehmer der Agile Automotive 2019 bei ihrem Vortrag freuen dürfen.

Zurück
  • #Events
  • #AgileInAutomotive
  • #KuglerMaagCie

Hallo Daniel, hallo Philipp, ihr seid ja schon länger mit dem Thema Agilität unterwegs. Was war der Anstoß euch mit diesem Thema zu beschäftigen und was war der Grund dranzubleiben?

Philipp: Mein Anstoß kam schon relativ früh im Studium mit der Betrachtung von Scrum in Unternehmen. Hier habe ich gelernt, wie sehr Unternehmen davon profitieren, wenn die Entwicklungszyklen kurz sind und das Kundenfeedback sehr schnell kommt. Am Thema dran geblieben bin ich, weil mir klar geworden ist, dass Agilität viel mehr als nur Scrum ist, es ist ganz klar ein Kulturthema. Ich wollte solche langen Veränderungsprozesse selbst begleiten. 

Daniel: Ich habe ca. 2006/2007 ein Projekt mit einem japanischen Kunden gehabt. In dem Zuge bin ich über das Toyota Production System mit der „Lean-Philosophie“ in Kontakt gekommen. Die Übertragung in die Softwareentwicklung über agile Methoden schien mir da sehr verwandt und naheliegend.

 

Ihr seid in unterschiedlichen Ecken der IAV mit agilen Transitionen betraut. Inwieweit gibt es so etwas wie eine Blaupause bei agilen Transitionen? Habt ihr irgendwelche Muster ausgemacht? 

Philipp: Es gibt bei agilen Transitionen keine Blaupause im Sinne eines Frameworks wie SAFe oder LeSS. Die Vorgehensweise ist von Bereich zu Bereich tatsächlich unterschiedlich. Es gibt jedoch gewisse Muster, die erkennbar sind. Ein Muster ist zum Beispiel, dass Agilität kein Selbstzweck ist. Ein weiteres Muster ist, dass man die gesamte Mannschaft mitnehmen und ein einheitliches Verständnis von Agilität entwickeln muss. 

Daniel: Ich glaube, der kleinste gemeinsame Nenner und die einzige Blaupause, die ich anwenden würde, ist die Frage: „Wozu will ich eigentlich agil werden?“ Die daraus folgenden Aktionen sind so individuell wie die Antworten auf diese Frage, die Menschen, die diese Antworten geben und die Projekte, in denen sie arbeiten. Ich glaube, jeder muss sich seinen eigenen Weg in die Agilität und seinen eigenen Platz darin selbst erarbeiten, um wirklich wirksam zu sein. Deshalb stimme ich mit Phillip darin überein, dass man alle beteiligen soll. Ich würde allerdings eher von „einladen“ sprechen als von „mitnehmen“, denn gegen seinen Willen jemanden „mitzunehmen“ funktioniert gerade hier nicht.

 

Habt ihr auch Anti-Patterns kennengelernt? Wenn ja, welche waren das?

Philipp: Ein Anti-Pattern, das ich gesehen habe, war, als ich am Anfang der agilen Transition bei der IAV eine erste Management-Schulung gegeben habe. Es war also eine Schulung nur für die Abteilungsleitung, Projektleitung und Teamleitung. Danach haben sich alle anderen betroffenen Mitarbeiter als Mitarbeiter zweiter Klasse gefühlt. Das Anti-Pattern ist also, nur mit einem Teil der Mitarbeiter vorzupreschen und den anderen Teil nicht mitzunehmen. Es ist wirklich wichtig von Anfang an alle mitzunehmen. Das heißt nicht, dass da plötzlich 100 Leute in einem Workshop oder in einer Schulung sitzen sollten. Es sollte aber kommuniziert werden, dass jeder zeitnah eine Schulung bekommt. Ein weiteres Anti-Pattern, das ich in anderen Kontexten sehr häufig gesehen habe, ist, wenn agile Initiativen bottom-up gestartet werden, das Management auch Support leistet, es aber das Thema nicht durchdrungen hat und irgendwann wieder reingrätscht, weil es eben Agilität nicht verstanden hat und einer solchen agilen Transition auch keine Zeit gibt. 

Daniel: Mein „Lieblings-Anti-Pattern“ ist vom Tool zu kommen statt vom Prozess. So nach dem Motto: „Wir machen das jetzt mit JIRA/TFS/Redmine. Wir sind agil!“ Die alten Prozesse und Rollen bleiben hängen, werden bestenfalls umbenannt nach dem Motto: „Teamleiter = Scrum Master“ und die Scrum-Artefakte werden widerwillig bis nachlässig bedient, ohne den Zweck dahinter zu sehen. Damit kann man so ein Thema wie Agilität ganz schnell verbrennen, weil jeder das Gefühl hat, dass sich eigentlich – im Prozess – nichts geändert hat, man aber einen gewaltigen Overhead hat durch zusätzliche Dokumentation und Regel-Meetings. Ein anderes Anti-Pattern wäre: „Agil = Schnell(er)“. Natürlich ist das verlockend, wenn plötzlich „gesprintet“ wird und die Mitarbeiter „Twice the work in half the time“ schaffen. Jeff Sutherland hat uns mit dem Buchtitel echt keinen Gefallen getan. Dass dafür eben   Rahmenbedingungen passen müssen und das Management nicht „reingrätschen“ darf, wie Philipp es grade so schön genannt hat, steht halt nicht auf dem Buchtitel.

 

Wie ist der derzeitige Stand der Agilität bei IAV? Ist es ein „offene Türen einrennen“, ein „gegen Windmühlen kämpfen“ oder etwas völlig anderes?

Daniel: IAV ist als Dienstleistungsunternehmen aufgrund der Vielzahl von Kunden und Themen sehr heterogen unterwegs. Fragestellungen wie die nach Werkverträgen, Zusammenarbeitsmodellen mit Kunden etc. sind noch nicht abschließend geklärt. Wir bearbeiten natürlich auch Themen, bei denen Agilität komplett fehl am Platze wäre, weil die Prozesse einfach nicht iterativ darstellbar sind oder es am Ende manchmal doch nur komplizierte Aufgaben sind, die nach Rezept mit größtmöglicher Effizienz abgearbeitet werden müssen. Da wo es passt, wird es aber gerne angenommen und wir haben auch eine recht aktive agile Community, in der wir uns austauschen.

Philipp: Ich glaube die gesamte IAV hat eine gewisse Awareness für das Thema Agilität. Ich glaube aber auch, dass sich diese Frage von Abteilung zu Abteilung oder auch von Bereich zu Bereich ganz unterschiedlich beantworten lässt. Ich bin zum Beispiel in einem Bereich, der für das Thema sehr offen ist. Es gibt sicherlich auch andere Bereiche, wo man tatsächlich gegen Windmühlen kämpfen würde. Es gibt bei der IAV also eine Art „Pilot“-Abteilungen, die anderen Abteilungen vorleben wie spannend und wie richtig dieser Weg ist. So hat zum Beispiel die Nachbarabteilung jetzt auch Blut geleckt und eine entsprechende Schulung bekommen.

Zur Person

Daniel Heß ist Abteilungsleiter Software Powertrain und Power Engineering bei der IAV GmbH und freier Berater, Trainer, Coach.

Sergej Weber von Kugler Maag Cie führt die Interviews mit Referentinnen und Referenten der Agile Automotive Conference.

Philipp Diebold ist Agile Coach und Geschäftsführer der Bagilstein GmbH sowie Vorstandsvorsitzender des Arbeitskreises Projektmanagement bei BITKOM e.V.

Wenn man den Hype-Zyklus von Gartner mit seinen fünf Phasen heranzieht und auf das Thema Agilität im Automobilbereich anwendet, inwieweit würdet ihr sagen, dass wir uns bereits auf dem „Plateau der Produktivität“ befinden? Und was wäre unter Umständen noch zu tun, um dieses im Automobilbereich zu erreichen?

Philipp: Im Automobilbereich haben wir eine sehr enge Verzahnung von verschiedenen Unternehmen: OEM, Tier-1, Tier-2 und so weiter. Diese einzelnen Unternehmen haben das agile „Plateau der Produktivität“ noch nicht erreicht - und selbst wenn jedes Unternehmen sein Plateau erreicht, heißt es nicht, dass die Zusammenarbeit zwischen diesen Organisationen schon agil funktioniert. Das Plateau lässt sich also nur mit allen Akteuren gemeinsam erreichen, das heißt wenn alle an einem agilen Strang ziehen. Erst dann käme ich als Endnutzer viel früher zu meinem Auto. Da ist noch ein weiter Weg vor uns, bis wir als Automobilbranche sagen können, wir haben das „Plateau der Produktivität“ bei Thema Agilität erreicht. 

Daniel: Das sehe ich genauso. Die vorhin angesprochenen Zusammenarbeitsmodelle müssen ausgehandelt werden. Idealerweise würden Teams aus Lieferanten, Dienstleistern und Herstellern themenübergreifend zusammenarbeiten, um maximale Wertschöpfung zu schaffen. Das sehe ich in absehbarer Zeit noch nicht. Wenn ich die aktuelle Phase in der Gartner-Kurve verorten sollte, wäre ich wohl kurz hinter dem „Tal der Enttäuschungen“. Viele wissen mittlerweile, was geht und was nicht geht.

 

Ihr habt jetzt die Möglichkeit etwas Werbung für eure Session auf der Agile Automotive 2019 zu machen. Was erwartet die Konferenzteilnehmer bei eurer Präsentation?

Philipp: Die Konferenzteilnehmer erwartet eine Diskussion zwischen Daniel und mir, wie wir zu dem Thema Blaupausen stehen und was Blaupause für uns bedeutet. Wir beantworten die Fragen: Was sind die Punkte, die ich bei einer agilen Transition bedenken muss und welche einzelnen Schritte ergeben sich daraus? Das Ganze werden wir anhand von zwei Fallbeispielen skizzieren. Hier wollen wir unsere Erfahrungen teilen und diese gerne mit den Konferenzteilnehmer diskutieren. 

Daniel: Ich glaube, dass es sehr kurzweilig wird und dass wir durch die zwei unterschiedlichen Perspektiven auf die Veränderungen, die mit einer agilen Transformation einhergehen, einen echten Mehrwert für die Zuhörer bieten können.

 

Vielen Dank für das Interview, das letzte Wort gehört euch!

Philipp: Auch Dir vielen Dank. Ich freue mich auf einen regen Austausch auf der Agile Automotive 2019. Kommt zu unserer Session! 

Daniel: Ganz herzlichen Dank! Ich freue mich auf viele Zuhörer und Besucher an unserem IAV Stand!